Ein ziemlich Aufmerksamkeit erheischender Titel, jedoch stammt er nicht von mir, sondern aus Benjamin Ottes Blog und wurde dort als "staring into the abyss" veröffentlicht. Anhand der Kommentare zum Artikel kann man erkennen, dass der Beitrag sicherlich durch einige prominente Newsseiten gewandert ist. Beinahe typisch für mich, stieß ich beim Durchstöbern der verwaisten Debianpakete auf ein Programm namens Byzanz, das eben von jenem Benjamin Otte entwickelt worden ist.
Schon wenig später entdeckte ich bei der Suche nach Informationen hierzu diesen Blogeintrag, der mich ein wenig zum Nachdenken brachte.
Das ist nicht der typische "Ich-sehe-alles-Schwarz-Post" irgendeines Bloggers, sondern er kommt immerhin von einem der Core-Entwickler von Gnome. Er kritisiert zum einen, dass Gnome unterbesetzt sei und hauptsächlich durch Entwickler von Red Hat getragen werde. Seine wichtigsten Kritikpunkte sind aber, dass es dem gesamten Gnome-Projekt an einem Ziel oder einer Vision mangele und dass wichtige Distributionen oder Anwendungen sich von Gnome abwenden oder abspalten (Unity und Cinnamon) anstatt mit Gnome zusammenzuarbeiten.
Mein Highlight aus diesem Post war jedoch die Aussage, dass Benjamin Otte der einzige Vollzeit-Entwickler für GTK ist. Also immerhin die Bibliothek, die für die Darstellung aller Anwendungen bei Gnome, Cinnamon und Unity verantwortlich ist.
In Zahlen: 1
Aber genau diese Tatsache, dass GTK ein Teil von Gnome ist und andere Projekte trägt, geht in seinem Post auch ein wenig unter. Wann ist der Punkt erreicht, wenn andere Projekte hier aushelfen werden und wie viele Freiwillige leisten zwar nur einen kleinen, jedoch entscheidenden Beitrag.
Der Artikel sollte auf jeden Fall aufrütteln und auch ein wenig Dampf ablassen. Man kann nicht bestreiten, dass seit der Veröffentlichung von Gnome 3 ein Bruch im ohnehin winzigen Markt des Linuxdesktops eingetreten ist. Wie können wir es uns eigentlich bei einer so kleinen Community leisten mit Gnome 3, KDE, Xfce, LXDE, Cinnamon und Unity sechs verschiedene Desktopumgebungen anzubieten? MATE und über vierzig verschiedene Fenstermanager nicht mitgezählt.
Fakt ist auch, dass man Vollzeit-Entwickler bezahlen muss, wenn man qualitativ hochwertige Software unterhalten möchte. Freie Software ist nicht kostenlos. Es macht einen Unterschied, ob ich den zwanzigsten Musikplayer oder grundlegende Systembibliotheken zu Standardanwendungen entwickle.
Ich denke, wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir versuchen jedes Benutzerszenario immer und überall erfüllen zu wollen. Jedoch glaube ich auch fest daran, dass sich das System von selbst reguliert. Sowohl Ubuntu als auch Linux Mint profitieren von Gnome-Technologien. Sollte also Gnome eines fernen Tages abgewickelt werden, stehen besagte Distributionen ziemlich im Regen. Ist das ein realistisches Szenario? Eher nein.
Auch im September 2012 hat sich bei Debian nicht viel geändert. Spannend bleibt höchstens ob Gnome 3.4 oder Xfce der neue Standarddesktop wird. Es gab aber schon größere Probleme.
Cinnamon wartet immer noch auf seine Aufnahme. Von MATE ist weit und breit nichts zu sehen. Möglicherweise wird aber Fedora 18 MATE in die Distribution aufnehmen.
Ein Blick in den Abgrund, Gnome 3 strauchelt. Möglicherweise ist es jedoch gar nicht so schlimm, es verfehlt die spitzen Speere und wird von DWM gefressen. 😈
Leider wird immer komplexere Software entwickelt, die Eines sträflich vernachlässigt: Den Anwender, und zwar nicht irgend einen, sondern den technisch unversierten. So lange Informatiker Software für Informatiker oder computertechnisch Bewanderte entwickeln, wird sich das oben dargestellte Szenario auch nicht aufhalten lassen, ganz im Gegenteil: Irgendwann werden sich die Unzufriedenen immer weiter zer-forkt haben und Linux bzw. die Desktop-Landschaft einem Flickenteppich gleichen. Nichts ist wirklich fertig, dafür alles »work in progress«.
Was IMHO helfen würde sind Systeme, deren Komplexität sich nach Bedarf regeln ließe, die also einen soliden und robusten Grundstock an elementaren Funktionen mitbringen, auf den nach Bedarf aufgesattelt werden kann. Dies verträte dann auch die Linux-Philosophie am besten. Jetzt herrscht eine ungebremste Featureitis, die selbst mich zu openbox greifen ließ (Laptop & Desktop), weil hier jedes Programm darauf beschränkt werden kann, seinen Job zu tun und nicht in der Verpflichtung steht, alle möglichen Anwendungsszenarien im Voraus erfüllen zu können.
Oh man hatte ich Angst…ich dachte, nachdem ich die Überschrift gelesen habe, Dein Artikel handelt von Alsa konfigurieren, Pulse hassen oder warum ruckelt es 2012 (teilweise) immer noch bei Flashfilmen unter Linux? ;-).
Die Frage ist nun: Was tun? Programmierer könnten sich sicherlich überlegen der Pflege von GTK unter die Arme zu greifen, aber für unerfahrene User könnte dieser Post den Eindruck erwecken das man GTK wegen mangelnder Zukunftssicherheit nach Möglichkeit meiden sollte. Also husch husch zu KDE (bzw. gleich zu Chakra ^^) wechseln? Oder besteht diese Gefahr aktuell gar nicht? Am Ende wird GTK3 gar nicht mehr fortentwickelt und die Entwicklung wird vom MATE-Team fortgetragen, mit einem Rückschritt zu GTK2 verbunden. Was für Aussichten…
@kero lol, die Angst war berechtigt. Immer dann, wenn ein Schlüsselwort wie ein Paketname in der Überschrift fehlt, sollte man immer das Schlimmste erwarten. 🙂
Ich muss zugeben, dass Flash mich nicht mehr schocken kann, weil ich es deinstalliert habe. Jetzt läuft nur noch Gnash. Ich versuche jetzt nur noch mit HTML5 auszukommen.
@Hansi Ich denke auch, dass ein Problem der Linux-Community im Allgemeinen der Drang nach Forks ist. Es ist ziemlich schwierig festzulegen, wo man hier die Grenze ziehen sollte. Ich denke jedoch, dass es ein paar Basisanwendungen gibt, wo man sich mindestens dreimal vorher überlegen sollte, ob man sie abspaltet.
Solange Code an das Originalprojekt zurückfließt ist alles noch in Ordnung. Jedoch entsteht schnell Frust, wenn das nicht mehr so ist. Ich benutze mittlerweile in dieser Reihenfolge Fenstermanager und Desktopumgebungen.
I3
Openbox
Gnome 3
Ich kann mir sowohl bei I3 als auch bei Openbox die Anwendungen aussuchen, die ich wirklich brauche. Wenn man bei Null anfängt, ist es leider nicht einfach herauszufinden, wie man das bewerkstelligen kann.
Gnome 3 ist ein Komplettpaket. Entweder man akzeptiert es im Ganzen oder man wird enttäuscht. Geschickter wäre es vielleicht gewesen, Nutzern von Anfang an die Möglichkeit zu lassen, den Desktop nach Gnome-2-Schema oder Gnome 3 einzurichten. Was sich nun abzeichnet ist eben, dass die Gemeinschaft Lösungen entwickelt das Aussehen und die Funktionalität von Gnome 2 unter Gnome 3 wieder zurückzugewinnen. Das ist sicher nicht schlecht, hätte aber von vornherein auch besser kommuniziert werden können.
Ja, man hätte es einfacher haben können. Möglicherweise ist das aber auch der grundlegende Weg, den Freie Software gehen muss.
Ein Problem ist eben auch, dass der „normale“ Anwender Software nicht entwickelt. Von 1000 Nutzern ist vielleicht einer Entwickler. Der aktuelle Stand der Technologie lässt es nicht zu, dass man die Entwicklung von Software beeinflussen kann ohne selbst zumindest Kenntnisse in einer Programmiersprache zu haben.
@Georg
Das nenne ich Timing. 🙂 Ich kenne keine Zahlen zu KDE, aber die Aussage, dass Benjamin Otte der einzige Vollzeitentwickler für GTK ist, hat mich doch überrascht. KDE wird es sicher nicht einfacher haben. 1 Vollzeitentwickler für GTK sollte nachdenklich stimmen, vor allem immer dann, wenn man unzufrieden mit der aktuellen Entwicklung ist. MATE hat es deshalb schwer, weil es hier niemanden gibt, der sich um die alte Codebasis Vollzeit kümmert.
Wie schon oft erwähnt, halte ich deswegen Cinnamons Konzept für das Sinnvollere. Die neue Technologie zu nehmen, um das alte Desktopkonzept fortzuführen.
Wie auch immer, das Grundproblem bleiben immer Menschen. Umso mehr das gleiche Ziel verfolgen desto besser.
Hm..inwiefern ist denn Gnome 3 umbedingt ein so viel umfangreicheres Gesamtpaket als z.B. Openbox? In Sachen Dateigröße und Ressourcenverbrauch auf jeden Fall, schon klar. Aber es ist ja kein Zwang alle möglichen Tools der Gnome 3-Welt mit der Shell zu nutzen…vielleicht sollte das Gnome-Team einfach seine Prioritäten überdenken. Mail-Programme, Browser etc. gibt es viele und es gibt viele Entwicker die so etwas entwickeln können/wollen. Moderne Shells für Anfänger gibt es nicht so viele, und alle bis auf KDE bauen auf GTK auf. Eine „Alternative“ zu GTK (weiß ehrlich gesagt gar nicht wofür GTK alles zuständig ist) gibt es wohl nur eine gleichwertige, und zwar QT das ja munter seine Besitzer tauscht. Vielleicht sollten die Gnome-Entwickler sich einfach auf Shell und GTK beschränken…oder wenn die Entwickler keinen Bock, keine Kraft oder Zeit haben an GTK zu arbeiten muss das irgendwann auch so komuniziert werden und nach einer Übergangsphase mit Sicherheitsupdates die Reißleine gezogen und GTK eingestampft werden. Aber GTK3 ist ja erst recht frisch, das sollte doch auch ohne großartige neue Features eine Weile aktuell und funktional bleiben, egal wie sich die Zukunft von GTK darstellt.
Die Forks verstehe ich auch nicht immer. Cinnamon zmu Beispiel. Erst haben die Machzer mit den Gnome Shell-Plugins eine einfache Möglichkeit geboten jedem Gnome-User das Cinnamon-Look&Feel zu bieten, dann wurde es aber in eine eigene Shell verwandelt. Wozu? Was ich als Nutzer davon bemerke ist nur das ich die alten Features habe, Themes & Plugins aber nicht mehr voll kompatibel sind. Und die funktionalen Neuentwicklungen hätte man sicher zu einem großen Teil auch über die Plugins regeln können. Vielleicht braucht es auch einfach eine Art „Zusammenbruch“ in dem sich die Entwickler eines besseren besinnen und lieber eine bunte, eine schlanke und eine geekig-komplexe Lösung anbieten als von allem 5-10? ^^
Openbox ist zuallererst nur ein Fenstermanager, wohingegen Gnome 3 eine komplette Desktopumgebung ist. Man muss zwar nicht alle Programme benutzen, die mit Gnome 3 entwickelt werden, man merkt jedoch schon, dass die mitgelieferten Anwendungen aufeinander abgestimmt sind.
Bei einer Openbox-Lösung habe ich die Freiheit meine wichtigen Programme selbst auswählen zu können, Gnome 3 bietet hingegen eine vorgefertigte Lösung, mit der die meisten normalen Benutzer auch zufrieden sind.
Das fängt z.B. bei Evolution an, dessen Kalender-App mit Gnome 3 harmoniert. Für Thunderbird/Icedove muss man dazu erst einmal ein zusätzliches Plugin installieren.
Man muss immer abwägen, ob man die vollkommene Kontrolle über jeden Aspekt des Desktops behalten möchte oder die Lösung lieber einer kompletten Desktopumgebung wie Gnome überlässt.
Cinnamon muss sich zwangsläufig abspalten, da das originale Gnome-Projekt nun mal einen eigenen Standard verfolgt. Forks sind nervig, manchmal aber auch einfach notwendig.
Das fängt schon bei jedem simplen Debianpaket an. Upstream denkt, dass Dateien hier und da installiert werden müssen. Debian legt die Installation jedoch explizit fest. Als Paketverwalter bist du also gezwungen, dich an die Regeln des jeweiligen Projekts zu halten.
Nun musst du dieses Problem nur auf eine gesamte Distribution mit Dutzenden von Programmen übertragen und die Sache wird kompliziert. Du kommst quasi nicht darum herum eigene Wege zu beschreiten.
Es ist unmöglich das Alte für immer zu bewahren, ohne neue Wege zu beschreiten. Das ist ein Widerspruch, der sich vermutlich nie auflösen lässt.
Ich glaube vor allen Dingen, dass sich die GNOME-Entwickler mit ihrer teilweise an den Tag gelegten Sturheit keinen Gefallen tun.
Ubuntu und Linux Mint brauchtn GNOME (derzeit), keine Frage. Aber wenn ich schon so starke Distributionen habe, warum arbeitet man dann nicht enger mit diesen zusammen. Wie ich darauf komme? Aktuelles Beispiel – Nautilus.
Ubuntu 12.10 wird nicht 3.6 einsetzen, sondern bei 3.4 bleiben – so auch Linux Mint. Letztere waren von der Kastration des Dateimanagers gleich so geschockt, dass sie mit Nemo einen Fork entwickelt haben. Auch Ubuntu wird sich was überlegen müssen.
Würde man besser miteinander kommunizieren, könnte man die Mint-Ressourcen vielleicht anderweitig einsetzen?
Die ganze Welt außer dem GNOME-Team scheint Nautilus 3.6 für eine schlechte Idee zu halten – also irgendwie selbst ins Abseits gestellt, oder?
Cinnamon ist auch nur deswegen entstanden, weil die Mint-Entwickler gesehen haben, dass man auch mit den Augen des Anwenders sehen können muss.
Ich persönlich kann mit GNOME weniger und weniger anfangen. MATE entzieht sich auch ein bisschen meinem Verständnis, weil diese Entwickler-Kraft wäre vielleicht in Xfce besser aufgehoben gewesen.
Aber es ist nun mal Fluch und Segen – die Qual der Wahl – dafür freie Wahl …
Hi Jürgen,
ich kann es ehrlich gesagt auch nicht richtig verstehen, warum Gnome mit Ubuntu und Mint nicht besser zusammenarbeit und umgekehrt. Vielleicht machen die von Red Hat bezahlten Entwickler das auch extra. 😉
Ich bin wirklich froh, dass es deswegen so etwas wie Debian Stable gibt. Da kann man die nächsten 3 Jahre mit Nautilus 3.4 arbeiten. Auf der anderen Seite habe ich hier Gnome 3 hauptsächlich deswegen installiert, um die Entwicklung zu verfolgen. Keine Frage, kann ich mit Thunar und PCManFM mehr anfangen. Beide besitzen zwar insgesamt weniger Funktionen, jedoch genau die, die ich in einem Dateimanager sehen will und beide sind ruckzuck gestartet und reaktionsbereit.
Ich bin mal gespannt wie das in einem Jahr mit Gnome 3.10 aussehen wird und ob Nautilus dann überhaupt noch Dateien managen kann. 🙂
Junge, ist der Artikel schon wieder zwei Monate alt?
Naja, hab hier ein paar Zahlen gefunden (wenn auch vermutlich nicht unbedingt repräsentative).
Eine Sachen zeigen diese aber schon: Die Benutzeranteile von Unity, Gnome3, und XFCE sind mittlerweile ziemlich gleich – mit sogar leichten Vorteilen für XFCE.
Das hätte es zu Gnome2-Zeiten definitiv nicht gegeben.
Es bleibt also spannende zu beobachten, wie die GUI-Entwickler darauf reagieren.
Ich verspreche, dass der Urlaub hier bald ein Ende haben wird. 🙂
Könntest du deine Zahlenquelle mal verlinken? Würde mich interessieren wie sie zustandegekommen ist.